Teil 4: 
Warum Weihnachten
wie ein schwarzer Schwan
war . . .


ULI NEUENHAUSEN
Leiter von Forum Wiedenest

In dieser Serie mit dem Namen „Der schwarze Schwan“ geht es um den Umgang mit Ereignissen, die wir nicht vorhersehen können. Wir fürchten uns davor, dass uns unvorhergesehenes Unglück treffen könnte, oder wir hoffen auf überraschendes Glück, das uns reich beschenkt, befördert oder sonst irgendwie gut tut. Wir können unsere Zukunft vorbereiten und planen, aber sie ist trotzdem voller Überraschungen, die sich beim besten Willen nicht voraussagen lassen. 

Weihnachten war ein riesiger schwarzer Schwan, den kaum jemand so vorhergesehen hatte. Die Reaktion auf die Geburt eines Königs, den Gott selbst der Menschheit schenkt, war deshalb auch eine enorme Herausforderung, die sehr unterschiedlich gemeistert wurde.

A   Für eine Gruppe von Hirten ist Weihnachten wahrscheinlich die größte Überraschung ihres Lebens. Durch Engel werden sie über das neue Ereignis informiert: „Euch ist heute ein Retter geboren!“ Sie reagieren sofort und brechen auf, um mit eigenen Augen zu sehen, was ihnen gesagt wurde. Als ihnen klar wird, was Gott hier getan hat, werden sie zu den ersten Evangelisten: Menschen, die begeistert von dem erzählen, was die Engel ihnen erklärt haben. (Lukas 2)

B   Herodes, der König in Judäa, reagiert auf die Nachricht vom neugeborenen König mit Panik. Für ihn ist dieser schwarze Schwan ein Schock , eine Bedrohung. Er bricht nicht auf, um sich den König selbst anzuschauen, sondern schickt seine Gäste aus Asien, um sie heimlich als Kundschafter zu missbrauchen. Sein Ziel ist die Verhinderung der Zukunft: Er ist König und jede Konkurrenz muss ausgemerzt werden (Matthäus 2)

C   Die Magier aus dem Osten ahnen nur, dass ein schwarzer Schwan aufgetreten ist. Sie sehen einen Stern und folgen ihm alleine auf die Einsicht hin, dass ein großer König geboren sein muss. Sie riskieren den langen und gefährlichen Weg und haben noch nicht einmal einen Plan, wie sie das Königskind eigentlich finden wollen. (Matthäus 2)

D   Maria und Joseph folgen mutig dem, was Gott ihnen aufgelegt hat. Hochschwanger machen sie sich auf den Weg, um zur Volkszählung in Bethlehem zu sein. Nach einem Traum von Joseph beschließen sie, mit dem Baby Jesus nach Ägypten zu fliehen, um den Mordplänen von Herodes zu entkommen. Irgendwann, nach dem Tod von Herodes, ziehen sie dann zurück in ihre alte Heimat, Nazareth in Galiläa. Der schwarze Schwan ist für sie beides: Das größte Glück, das Gott dieser Erde schenken konnte, und gleichzeitig eine Herausforderung und Bedrohung für ihr persönliches Leben, aus der Gott sie rettet. (Matthäus 2)

Mit dem ersten Weihnachten bricht ein Ereignis in die Welt hinein, das alles auf den Kopf stellt. Ein König wird aus Panik zum Mörder, Hirten werden zu Verkündigern von Weihnachten, Gott bekommt Besuch von Zauberern aus Asien, ein armes Ehepaar wird zu Königseltern.

Der Prophet Jesaja sieht zwar die Geburt durch eine Jungfrau voraus, aber nicht die Krippe. Der Prophet Jeremia sieht den Kindermord von Bethlehem voraus, aber nicht die Rettung des Messias. Auch die Aussagen der Propheten bewahren uns nicht davor, von Gott mächtig überrascht zu werden. Deshalb sprechen wir ja von schwarzen Schwänen – zu einer Zeit, als man fest davon ausging, dass es nur weiße Schwäne geben könne, war die Entdeckung eines schwarzen Schwans eine Irritation, eine Störung des Weltbildes, ein völlig unerwartetes Ereignis.

Out of Control

Herodes einerseits und Maria und Joseph, die Hirten und die Magier andererseits zeigen zwei Möglichkeiten, mit den Überraschungen umzugehen, die Gott selbst uns beschert. Herodes will die Kontrolle behalten, dazu natürlich seinen Job und seine Macht. Für Menschen, die darauf bestehen, dass sich nichts ändern darf, ist Gottes überraschendes Handeln wie eine Bedrohung. Die Reaktion darauf ist Gewalt: Mit aller Gewalt verhindern, dass sich etwas an meiner Situation, meinen Privilegien, meinem Lebensstil oder meiner Verfügungsgewalt über andere ändert.

Herodes hat etwas zu verlieren an diesen Gott, der plötzlich auftaucht. Einerseits glaubt Herodes den Propheten und dass Gott hinter der Geburt dieses Kindes steht, das die Magier aus dem Osten suchen. Andererseits ist er so unfassbar vermessen und blind, dass er denkt, er könne Gottes Pläne vereiteln und seine Pläne gegen Gott durchsetzen. Er glaubt an die Macht Gottes, einen König senden zu können. Er glaubt aber noch viel mehr an seine eigene Macht, sein Leben sichern und jede Veränderung, auch wenn sie von Gott selbst kommt, abwehren zu können.

Maria sagt einfach nur Ja, als der Engel Gabriel ihr eine Schwangerschaft ankündigt, die ihr komplettes Leben auf den Kopf stellt Joseph sagt Ja, als Gott ihm im Traum klarmacht, dass er gegen alle gesellschaftlichen Konventionen zu Maria stehen soll, trotz der „außerehelichen“ Schwangerschaft. Die Hirten lassen alles stehen und liegen und rennen zum Stall, als die Engel ihnen den Retter ankündigen. Die Magier machen sich auf den langen Weg nach Westen, ohne zu wissen, für wie viele Wochen und Monate sie unterwegs sein und ob sie am Ende finden werden, was sich ihnen am Himmel angedeutet hat.

Der Unterschied zwischen Herodes und dieser zweiten Gruppe liegt im Vertrauen auf Gott: Wenn Gott mir Überraschungen zumutet, dann ist er immer noch Gott und seine Wege sind immer noch gut und seine Absichten das Beste, was mir in meinem Leben passieren kann. Die Furcht davor, dass unvorhergesehene Ereignisse mein Leben verändern, meinen Komfort einschränken, meine Gewohnheiten herausfordern und meine Ansprüche verneinen können, ist letztlich aus dem Misstrauen geboren, dass ich unterwegs mit Gott mich selbst und mein Leben verliere. Die Nachbarin, zu der Gott mich schickt, die Versöhnung, auf die jemand wartet, das Eingeständnis eines Fehlers oder einer Sünde, die mein Gewissen erst freimachen werden, die Bereitschaft, zurückzustehen und andere vorzulassen, der Verzicht auf meine Pläne zugunsten anderer Möglichkeiten – wir stehen immer neu vor der Entscheidung: Halte ich ängstlich und aggressiv an dem fest, was mir scheinbar Sicherheit gibt, oder sage ich vertrauensvoll und gelassen Ja zu den Veränderungen, die vielleicht nicht mir, aber anderen guttun?

Darf sich meine Gemeinde verändern, auch wenn es nicht nach meinem Geschmack ist? Darf mein Kollege an mir vorbeiziehen und die Karriere machen, die ich gerne gehabt hätte, weil er vielleicht wirklich die beste Besetzung ist? Kann ich auf Neid verzichten, wenn der andere mehr Erfolg und Anerkennung hat als ich selbst – weil ich Gott vertraue, dass ich immer das von ihm bekomme, was ich brauche? Bin ich bereit, umzukehren, den langen Weg zurück zu der Abzweigung, wo ich einen falschen Weg gewählt habe, wenn Gott mir das zeigt?

Diese Fragen und noch viele mehr sind die konkreten Alltagssituationen, in denen ich entscheide, ob Gottes schwarze Schwäne mein Albtraum oder mein Glück werden sollen. Darf in meinem Leben Gott unverhofft auftauchen und mich anders herausfordern als erwünscht? Darf in meinem Leben Weihnachten passieren?

 

Artikel erschienen in:
Offene Türen 2020-1
(Aktuelle Ausgabe lesen | Kostenlos abonnieren)


Diese Impulse könnten dich außerdem interessieren: